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Von der Gegenwärtigkeit des Vergangenen

Informiertsein, an der Münchner Akademie galt dies jahrzehntelang als Verdikt. Doch beim Atelierrundgang in diesem Sommer war unübersehbar, die Studenten wussten Bescheid über die "ästhetischen Operationen" (Catherine David) ihrer Kollegen in New York und London.

Inmitten dieser regen Aktualität wirkte Michael Schumachers Raum wie eine extemporäre Insel. Die Geschwindigkeit der Wahrnehmung kam nahezu zum Stillstand. Nicht der Zeitgeist, sondern Mnemosyne, die Göttin der Erinnerung, schien Spuren hinterlassen zu haben. Michael Schumachers Atelier war leer bis auf einige genau plazierte "Mauereingriffe" (Schumacher) an drei Wänden: Reliefnischen mit Motiven von Weinlaub oder Sämlingen, Relieftafeln, das Fragment eines in Fensterhöhe über Eck geführten, frei rhythmisierten Kästchenfries. Solche Setzungen beschwören nicht den Traum vom chef d'oefre. Sie wecken eher Erinnerungen an die große Tradition der Künstler-Stukkateure, an einen genius loci in der Stadt Adolf von Hildebrands.

Sorgfältig gearbeitet als Hoch- oder Flachrelief, von unterschiedlichem Format wirken diese Wandbilder wie Spolien. Eigenständig einerseits, andererseits wie Verweise auf einen verlorengegangenen Zusammenhang zwischen Architektur und Ornamentform, künstlerische Tradition und Handwerklichkeit. Es ist die Thematisierung dieses Verlustes, die die Arbeiten in der Gegenwart verankert und sie zugleich von heutigen Erscheinungsformen des Reliefs wie Imi Knoebels "Betoni" unterscheidet. Gesucht wird nicht die zeitgemäße Form, obwohl die klassischen Naturformen im Sinne der Moderne interpretiert werden. Es ist eher der Zitatcharakter und die Anordnung der einzelnen Bildobjekte im Raum auf verschiedenen, genau austarierten Ebenen, wodurch sich der Eindruck des Zeitbezugs in einer Aura der Entrücktheit einstellt.
Dieser Brückenschlag zwischen Tradition und Gegenwartsbewußtsein, so augenfällig in einigen Arbeiten, ist in der Biographie des Künstlers begründet: Schumacher war Maurer- und Stukkateurmeister mit eigenem Betrieb bevor er als Meisterschüler von Olaf Metzel die Müchner Akademie absolvierte. Eine besondere Affinität zu Stuck, während Restaurationsarbeiten in Schleißheim und Altötting entwickelt, bestärkte das Bedürfnis, das Handwerk in eigenen Kunstkonzeptionen zu erproben. Diese Bekenntnis zur handwerklichen Tradition unterscheidet Schumacher von einem Teil der Gegenwartsproduktion.
Obgleich Vorraussetzung und nicht Selbstzweck, spielt er verschiedene Möglichkeiten des Reliefs durch, versucht sie zu erweitern, neue Qualitäten zu gewinnen.

Stuck, weiss und geglättet, lebt vom Kontrast, von Licht und Schatten. Schumacher verstärkt ihn, etwa im Klötzchenfries ("Wandfries") oder im Stuckbild "Zypressenweg", indem er die weißen, geglätteten Positiv- bzw. Negativformen der Motive mit einem rauhen, sandsteinfarbigen Bildgrund verbindet.

Dieses Konzept des Kontrastes und der Erinnerung wird in neueren Arbeiten weitergetrieben in einer Folge von "Ofenskulpturen". Sockel, Gewölberaum, (Rauch-) Zylinder, übereinandergetürmte klassische und zugleich alltäglich-vertraute Bauformen werden zum Bausatz für freie skulpturale Variationen im Raum. Bahnt sich eine Radikalisierung des bisher Geschaffenen an, ein Abschied von Stuck und Memory? Zwei aufeinandergestellte, gegeneinander verschobene Ziegelkuben, offen an zwei Seiten, deuten solch einen Aufbruch an.

Ingrid Rein